Brunnenunglück am 17.12.1926


Selten hat ein Ereignis die Öffentlichkeit so erschüttert, wie das qualvolle Sterben des Hilfsarbeiters Anton Gamsjäger, der am Freitag, 17. Dezember 1926, gerade in der Weihnachtszeit, in einem Brunnenschachte zugrunde gehen mußte.

Gegen 1/2 6 Uhr abends des 17. Dezembers 1926, ereignete sich beim Bau eines Brunnens in Steyregg eine schwere Einsturzkatastrophe, die leider ein Menschenleben forderte. Das Unglück ereignete sich Auf der Anhöhe gegenüber dem Bahnhof am Hauses Nr. 26 in Steyregg, auf den neuen Siedlungsgründen, beim Haus des Eisenbahnsiedlers Steingruber. Der mit der Aushebung des Brunnens beschäftigt gewesene, am 25. Juli des Jahres 1876 in St. Georgen a.d. Leys geborene Hilfsarbeiter Anton Gamsjäger, zuständig nach St. Anton an der Jessnitz (Bezirk Scheibbs in Niederösterreich), verehelicht mit Maria, jedoch von ihr geschieden, wurde kurz vor Arbeitsschluß in einer Tiefe von elf Metern, der Sohle des Schachtes, durch plötzlich abstürzendes Erdreich begraben. Ehe die sofort eingeleiteten Bergungsarbeiten zur Befreiung des Arbeiters führen konnten, verschütteten ihn nachstürzende Erdmassen bis zum Halse, so daß nur noch der Kopf frei blieb. Sofort regte sich werktätige Hilfe. Die Ortsfeuerwehr, zwei wackere Männer (Leopold Friedmann und Johann Oberreither) bemühten sich, von der Schloßherrin Ungnad-Weißenwolff durch Material nebst Verpflegung unterstützt, den Unglücklichen zu befreien. Die Genannten ließen sich sogar in das offene Grab abseilen, doch war Gamsjäger, der zwar gelabt werden konnte und sogar eine Zigarette rauchte, auf diese Weise nicht zu retten. Um 10 Uhr nachts verlangte der Verschüttete die letzten Tröstungen der Religion, die ihm Kooperator Paul Eckhart in der Form einer Generalabsolution unter tiefster Erschütterung des anwesenden Publikums spendete. 

Rettungsversuche durch den Brunnenschacht erwiesen sich als unmöglich, weil das Erdreich immer wieder nachgab und der Unglückliche noch tiefer in Erd- und Grundwasserschlamm steckte. 

Die Gendarmerie Steyregg verständigte abends um 9 Uhr den Landesgendarmeriekommandanten Johann Bogelhuber, der sich sofort mit der Landesregierung ins Einvernehmen setzte, die in Rücksicht darauf, dadurch ein Menschenleben vielleicht noch retten zu können, dem ergangenen Hilferuf nachkommend, in entgegenkommendster Weise sofort noch zur Nachtzeit den Abgang eines für die Bergungsarbeiten entsprechend ausgerüsteten Zuges von Pionieren an die Unfallstelle veranlaßte, um so die Bemühungen der Bevölkerung Steyreggs und Umgebung, den Verunglückten zu bergen, auf das nachdrücklichste zu unterstützen. Sofort fuhren zehn Mann unter dem Kommando eines Leutnants, des Kommandanten Gmeinhart, mit einem Kraftwagen nach der Unfallstelle und nahmen die Rettungsarbeiten auf. Um 2 Uhr nachts wurde eine Verstärkung von 25 Pionieren noch angesprochen und auch gleich abgesendet. Da man von oben nicht zu dem Verunglückten gelangen konnte, begannen sie sofort, einen von der Seite schrägen Stollen gegen die Unglücksstelle voranzutreiben, um den verunglückten Arbeiter, der bei vollem Bewußtsein war, auf diese Weise zu retten. Es wurde gearbeitet, daß die Hände bluteten. Die schauerlichen, flehenden Hilferufe aus der Tiefe spornten die Männer zur äußersten Kraftanstrengung an, doch das lockere, nachstürzende Erdreich, der alles erweichende Regen, verzögerte die Aushebungen ungemein. 

Der Unglückliche war inzwischen noch tiefer gesunken und hatte vermutlich auch innere Verletzungen erlitten. Man führte ihm auch einen Luftschlauch zu, um ihn bei weiterem Einsinken vor dem Erstickungstode zu bewahren. Er wurde auch auch mit erfrischenden Getränken, Tee u. dgl. versorgt.

Den Arbeiten stellten sich jedoch die größten Schwierigkeiten entgegen, daß trotz der aufopfernden Mitarbeit der Einwohnerschaft und der Ortsfeuerwehr und trotz rastlosester Eile der Mannschaft es nicht gelang, den Stollen bis zum Brunnen durchzuschlagen. Gamsjäger konnte nicht aus seinem Gefängnis befreit werden, da das lockere Erdreich, das durch das Tauwetter der letzten Tage jeden Zusammenhalt verloren hatte, immer wieder nachdrang und die mühselig gegrabene Gänge wieder ausfüllte. Ob Gamsjäger solange am Leben erhalten werden konnte und seine Körperkonstitution die Beklemmung durch die Erdmassen solange aushalten würde, war eine Frage, die alles in Atem hielt. Da der Verunglückte, der seine Retter graben hörte, neuen Mut geschöpft hatte, durfte vielleicht doch gehofft werden, daß seine Bergung gelingen und er dem Leben erhalten bleiben würde. 

 

In der Nacht von Samstag auf Sonntag gegen 2 Uhr verstummten die Hilferufe. Die Hoffnung, Gamsjäger noch lebend zu retten, schwand, trotzdem grub man weiter, um wenigstens seine Leiche zu bergen. Das Schottergeschiebe, der rieselnde Sand, glich jeden Spatenstich wieder aus. Das Schicksal Gamsjägers war umso tragischer, als daß der 50jährige Mann die gefährliche Arbeit aus Not übernommen hatte und auch sonst zu den enterbten des Lebens gerechnet werden konnte. Er schmachtete sieben Jahre in russischer Gefangenschaft; die Schrecken des Krieges und Sibiriens hatte er überlebt, um von der Heimaterde dann erdrückt zu werden.

Überdies stürzten am Sonntag von 13 Uhr bis 13 Uhr 15 Minuten neue Schuttmassen ab, die Gamsjäger vollständig bedeckten. Nun war allen Ernstes zu befürchten, daß der Schlauch eingedrückt und jegliche Luftzufuhr abgeschnitten wurde. Der Kommandant des Pionierdetachements drang mehrmals in dem rund ausgearbeiteten Brunnenschacht (der etwa 11 Meter tief ist, unten nur etwa 70 Zentimeter Durchmaß und eine obere Weite von ungefähr 120 Zentimeter hatte) vor, um sich jeweils über die furchtbare Lage des Verschütteten entsprechend zu informieren. Wie die Situation dermalen lag, war es aussichtslos, den Verunglückten noch lebend zu bergen, trotzdem die Pioiniere, die sich in Schichten von 30- 40 Mann ablösen, mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung und der Feuerwehr Steyreggs unausgesetzt und ohne jegliche Unterbrechung arbeiten. Man rückte zwar immer näher der Stelle, wo der Unglückliche sich befand, aber nur sehr langsam, denn die große, auf dem schrägen Stollen, durch den man den Verschütteten zu bergen hoffte, ruhende Belastung bedurfte größte Vorsicht. Bis Mitternacht (zum Sonntag) konnte man erst etwa 7 Meter 50 Zentimeter in die Tiefe vordringen und bis 6 Uhr morgens (Sonntag) war man kaum einen halben Meter weiter nachgerückt, so schwierig gestalteten sich die Grabungen.

Montag vormittags wurde gemeldet, daß die fortgesetzten Arbeiten angesichts der großen Schwierigkeiten und Gefahren der Grabungen bis Montag früh ein weiteres Vorwärtsbringen von lediglich 30 Zentimeter ermöglichen. So war keine Hoffnung mehr vorhanden, den Unglücklichen zu bergen, und Anton Gamsjäger mußte leider als verloren gelten. Seine Leiche würde kaum vor drei oder mehr Tagen geborgen werden können. Im Brunnenschacht selbst lösten sich inzwischen weitere Teile des Betons des zementierten Schachtteils und stürzten in die Tiefe. Jedenfalls ist alles Menschenmögliche aufgeboten worden, um ein Menschenleben zu retten. Nach Bergung der Leiche würde der traurige Vorfall noch eine gerichtliche Kommission beschäftigen.

 

Bezirkshauptmann Dr. Rusko aus Urfahr und Oberbaurat Reveklovsky der Landesregierung haben am 21. d. M. die Unfallstelle Besichtigt. Am 22. Dezember traf eine Kommission in Steyregg ein, die die Arbeiten behördlich einstellte. Sie stellte fest, daß dem Hause, zu dem der Brunnen gehörte, die Gefahr des Einsturzes drohte. Es mußte unbedingt Frostwetter abgewartet werden, um bei der Arbeit nicht noch weitere Leben zu gefährden. 

Die Arbeiten der Pioniere wurden in dem überhaupt möglichen raschen Tempo betrieben und durchgeführt, trotzdem sich schier unüberwindliche Schwierigkeiten und Gefahrenmomente einstellten. Das Haus mußte über Anordnung der Kommission wegen bereits großer Einsturzgefahr gespreizt und gestützt werden. Der Besitzer des Hauses, der Eisenbahner Steingruber, mußte das Haus verlassen. Die Gemeinde Steyregg verwendete sich dafür, daß Steingruber in einem anderen benachbarten Siedlungs-Neubau eine Wohnung erhielt. Wie schwierig und gefahrvoll sich die Arbeiten der Pioniere gestalteten, bewies neuerlich der Umstand, daß man während des des vorhergehenden Tages nur um 40 Zentimeter weiter vorwärts dringen konnte. Die Arbeiten würden voraussichtlich sogar über die Weihnachtsfeiertage andauern, weil es erst dann gelingen dürfte, die Lagerstätte der Leiche zu erreichen. Der Brunnen war infolge weiterer Erdstürze bis auf drei Meter verschüttet.

 

Am 23. Dezember besichtigte eine Kommission unter der Führung des Dombaumeisters Schlager die Unglücksstätte und bestimmte die Art der Bergungsarbeiten. 

Durch die Bezirkshauptmannschaft Urfahr, der von der oberösterreichischen Landesregierung die "Vergebung der Bergungsarbeiten übertragen" wurde, sind nun im Offertwege die Arbeiten dem Brunnenmeister Fürlinger in St. Peter bei Linz zugeteilt worden. Fürlinger hat die Bergung des Leichnams des Verschütteten und Planieren des von den Pionieren ausgehobenen Stollens übernommen. Mit den Arbeiten sollte am Montag den 24. Jänner begonnen und unter Leitung des Brunnenmeisters Fürlinger, um den Betrag von 3000 S., von Steyregger Arbeitslosen durchgeführt werden. Man hofft, längstens in drei Wochen das Unglückliche Opfer bergen zu können. 

Ende Jänner konnte die Leiche des Armen geborgen werden. Gamsjäger, der offenbar an einer Schädelfraktur gestorben war, fand am 17. Februar 1927 um 10 h vormittags endlich in geweihter Erde des Ortsfriedhofs Steyregg seine letzte Ruhestätte.  Sein Leichenbegräbnis gestaltete sich zu einer großartigen Trauerkundgebung. Die ganze Pfarrgemeinde beteiligte sich daran.

H. Bezirkshauptmann war gleichfalls erschienen und hielt am Grab eine Trauerrede.

 

Die traurige Angelegenheit hatte am 13. Oktober 1928 ein gerichtliches Nachspiel. 

Die gerichtlichen Erhebungen ergaben, daß der Tod des fleißigen Arbeiters auf so manche Unterlassungssünden des Dienstgebers, des 49 (oder 51) jährigen Brunnenmeisters Franz Kern, geboren in Mauthausen, domiziliert in Moos Nr. 16 bei Enns, zurückzuführen seien. Das Beweisverfahren ergab, daß der Beton, der zur Verwendung gelangte, infolge Fehlens von Sandgehalt, nicht die vorschriftsmäßige Zusammensetzung aufwies. Auch war der zum Schlusse betonierte Mauerwerksring zu früh, vor dem vollständigen Erstarren der Betonmasse, abgeschält worden, so daß die unteren Schichten den gewaltigen Druck nicht mehr aushielten und nachgaben. Ebenso hat es der Brunnenmeister unterlassen, seine Hilfskräfte entsprechend zu belehren und sich von der Befolgung seiner Anordnungen zu überzeugen. Kern hatte sich deshalb am 13.10.1928 vor dem Schöffengerichte unter dem Vorsitze des Oberlandesgerichtsrates Kreuzhuber wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens (§335 St.-G.) zu verantworten. 

Der Angeklagte sagt, daß das Material durch das Hineintreiben der Brunnenbüchse gelockert worden sei. Vorsitzender zum Angeklagten: "Sie haben die Verschalung zu früh herausgenommen, bevor noch der Beton hart geworden ist!" Kern sagt, daß er es an Weisungen und Ermahnungen an Gamsjäger nicht fehlen ließ. Zeuge Karl Hengel, Hilfsarbeiter, der mit Gamsjäger gearbeitet hatte, sagte, daß das Material weich gewesen sei und der Brunnenmeister am kritischen Tage den Gamsjäger aufgefordert habe, die Arbeit zu unterbrechen. Dieser habe jedoch erklärt, daß er die Arbeit fortsetzen wolle, obschon es schon halb sechs Uhr abends war. Der Angeklagte erklärt nachträglich über Befragen, daß er etwa 20 Brunnen gegraben habe und daß die Bodenverhältnisse in Steyregg ungünstig seien. 

Der Vorsitzende konstatierte, daß Kern einen sehr guten Leumund genieße. Der Sachverständige, Oberbaurat Ing-Robert Krah, deponierte, daß die Art und Weise, wie der Brunnen gegraben wurde, allgemein üblich sei, daß aber der Beton nicht einwandfrei war und die Verschalung zu früh herausgenommen wurde, worauf das Unglück zurückzuführen sei.

Staatsanwalt Dr. Stronski erinnerte eingangs seiner Ausführungen, daß seinerzeit die Bevölkerung von Linz, ja von ganz Oberösterreich, mit Bangen an dem Schicksal Gamsjägers teilgenommen hätte und erklärte, daß die Methode des Grabens zwar richtig, jedoch deren Durchführung mangelhaft gewesen sei. Auch fallen die bereits erwähnten Unterlassungen auf Konto des Beschuldigten.

Verteidiger Dr. Escherich (Kanzlei Dr. Schneeweiß) betont, daß sein Klient ohnehin den Gamsjäger am kritischen Abend aufgefordert habe, den Brunnenschacht zu verlassen. 

Kern wurde unter Anwendung des Artikels 6 der Strafprozeßordnung bedingt zu drei Monaten strengen Arrestes verurteilt und ihm eine dreijährige Bewährungsfrist zugebilligt.

 


Diese zeitgenössische Beschreibung des damaligen Unglückes ist auch heute, fast 100 Jahre später, sehr ergreifend. Begibt man sich an die Unglücksstelle in der Bahnhofssiedlung, erkennt man die auch heutzutage noch deutlich markierte Stelle der damaligen Brunnengrabung. In nächster Umgebung liegt die Trasse der Summerauerbahn. Man hatte damals angewiesen, daß vorbeifahrende Züge sehr langsam fahren sollten, um übermäßige Erschütterungen zu vermeiden. Dennoch hat wohl, so wird berichtet, ein vorbeifahrender Zug dies nicht beachtet, woraufhin der Brunnenschacht einstürzte.

 

Über dieses Brunnenunglück wurde viel geschrieben und gesprochen. Sogar in einem großen argentinischen Blatt Südamerika La Plata Zeitung war ein längerer Bericht über das Steyregger Brunnenunglück zu lesen. Manche glaubten, Steyregg habe es nicht verstanden, die Bergung zu ermöglichen, die Leute wären alle zu dumm gewesen, aber keiner von diesen recht Gescheiten ist gekommen und hat es etwa probiert, dem Armen zu retten. Bei der Ausgrabung waren mehrere Brunnenmeister aus Privatinteresse dabei u. die haben wohl das beste Urteil abgegeben als Fachleute, indem sie sagten: Jetzt verstehen wir, wie unmöglich es war, den verunglückten Gamsjäger lebendig aus dem Brunnen herauszubringen, dass man alles selber gesehen haben muss.

 

Außer den hier abgebildeten Fotos ist eines erhalten, daß nach der Bergung des Verunglückten aufgenommen wurde. Wir haben es aus verständlichen Gründen hier nicht abgebildet.

 

Quellen

Tagespost 13.10.28

Wiener Tageblatt 21.12.26

Freie Presse 21.12.26

Salzburger Volksblatt 18.12.26

Salzburger Wacht 21.12.26

Salzkammergut-Zeitung 25.12.26

Salzkammergutzeitung 2.1.27

Reichspost 25.01.27

Linzer Tages-Post 23.01.27

Reichspost 14.10.28

Salzburger Chronik für Stadt und Land, 13.10.28

Salzburger Volksblatt 13.10.28

Tageblatt, 13.10.28

Sterbebuch Steyregg 1927 

Totenbeschauschein Nr. 6

Pfarrchronik Steyregg

Erzählungen

 

Fotos:

Das interessante Blatt 30.12.26

zeitgenössische Postkarte

aktuelle Fotos der Unglücksstelle: privat